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Report: Islamistische Inhalte auf Telegram

Direkte Kommunikation und lebensweltnahe Propaganda

Der Messenger-Dienst Telegram hat sich in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Verbreitungswege für islamistische Propaganda im Netz entwickelt. Durch Tod oder Festnahme vieler Akteure vor allem aus dem gewaltbereiten Spektrum sowie territoriale Verluste in Syrien und dem Irak hat sich auch die Online-Propaganda verändert. Bis 2017 wurde seitens des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) und dessen Sympathisanten noch intensiv zur Ausreise aufgerufen und mit Bildern und Videos für ein angeblich ideales und intaktes "Kalifat" geworben.

Zwar finden sich auf Telegram weiterhin offensichtlich dschihadistische Beiträge, die Propaganda wird jedoch zunehmend dominiert von Angeboten, die mit einer lebensweltnahen Kommunikation und subtileren Ansprache junge Userinnen und User für ihre Ideologie gewinnen wollen: Tipps zum "richtigen" Verhalten im Alltag, Kampagnen, die an Diskriminierungserfahrungen anknüpfen oder Kanäle, die sich mit Fragen zum Liebesleben beschäftigen, sind einige Beispiele. Häufig werden religiöse Quellen herangezogen: Suren aus dem Koran oder Textpassagen aus ver-schieden Hadithen werden unabhängig ihres historischen Kontextes genutzt, um Ideologie und Feindbilder zu bestärken.

Anschlagsaufrufe zielen zunehmend auf Heimatländer

Gleichzeitig konnte 2018 eine Verschiebung des Fokus' dschihadistischer Propaganda beobachtet werden: Mit detaillierten Anleitungen wurde vermehrt dazu aufgerufen, den Kampf "zu Hause" (gemeint ist der Wohnort der Nutzerinnen und Nutzer) fortzuführen. Auf Telegram fanden sich auch konkrete Anleitungen für den "heimischen Kampf", beispielsweise um Bomben zu bauen und Sprengstoffanschläge zu verüben.

Aber auch Themen wie die Verschlüsselung von Daten oder Programmierung von Viren für den "digitalen Dschihad" wurden mit konkreten Hilfestellungen an junge Userinnen und User herangetragen. Die Propaganda richtet sich dabei auch an potenziell von der Szene isolierte Sympathisantinnen und Sympathisanten, die ohne in eine direkte Kommunikation mit dschihadistischen Akteuren die Anleitungen aufgreifen und zur Anwendung bringen können.

Hilfe für "Glaubensgeschwister": Vorgeblich karitative Kanäle

In mehreren deutschsprachigen Kanälen wird dazu aufgerufen, für "Geschwister" in Not – häufig handelt es sich dabei um inhaftierte Islamistinnen und Islamisten – zu beten und mit Geld- oder Sach-spenden auszuhelfen. Userinnen und User aus der islamistischen Szene, die eine sogenannte "Gefangenenhilfe" betreiben, wollen so sicherstellen, dass Inhaftierte und Angehörige in ihrer ideologischen Haltung gestärkt bleiben und sich nicht von der Szene abwenden. Insbesondere soll auch das für junge Menschen anziehende Bild einer starken Gemeinschaft aufrechterhalten werden.

Die islamistische Propaganda baut verurteilte "Hassprediger" und Terroristen zu vermeintlich standhaften Idolen auf, mit denen sich Jugendliche identifizieren können. Sie gelten als lebende Märtyrer, die angeblich zu Unrecht inhaftiert seien. Dies ist meist gekoppelt mit einem Szenario vom "Kampf der Kulturen" und des baldigen Niedergangs der islamischen Gemeinschaft, sollte sie nicht den Kampf aufnehmen. Anhand von Verschwörungstheorien wird ein Feindbild in Form "des Westens" erschaffen, der "widerständige Muslime" verfolge, inhaftiere und unterdrücke. Aus dem Kontext gerissene Verse aus dem Koran und religiösen Schriften sollen dieses "Freund-Feind-Schema" untermauern. So werden selbst schwere Gewalttaten und terroristische Anschläge legitimiert und als nachahmenswert dargestellt.

Aktuelle gesellschaftliche Debatten als niedrigschwelliger Zugang

Islamistische Angebote greifen auf Telegram Fragen auf, welche die Identität, Zugehörigkeit, Anerkennung und Rassismus betreffen. Mit einer genderspezifischen Ansprache, einer lebensweltnahen Kommunikation und jugendaffiner Aufmachung werden so junge Menschen erreicht. Auch tagesaktuelle Themen, die Jugendliche bewegen, werden in den verschiedenen islamistischen Telegram-Kanälen immer wieder eingebunden. Beispielsweise bei der durch den Rücktritt des Fußballspielers Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft ausgelösten Rassismus-Debatte oder der Diskussion um ein eventuelles Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren in NRW.

Gesellschaftliche Debatten werden auf Telegram von islamistischen Akteuren befeuert und anhand eindringlicher Wirkungselemente wie Bilder und Videos mit ideologischen Versatzstücken verwoben. Anknüpfungspunkte sind oft Diskriminierungserfahrungen, die insbesondere muslimische Jugendliche möglicherweise selbst gemacht haben. Auch hier wird der Zusammenschluss "aller Muslime" und gleichzeitig die Abgrenzung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft propagiert, um die gesellschaftlichen Konfliktlinien zu vertiefen.

Weiterhin drastische Gewaltinhalte verfügbar

Die am häufigsten festgestellten Verstöße innerhalb der Kanäle waren das Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, die Verletzung der Menschenwürde (Leidensdarstellungen) und Kriegsverherrlichung (Glorifizierung des militanten Dschihads). Gewaltdarstellungen machten 8 % aller Verstöße bei Telegram aus (2017: 14 %). jugendschutz.net dokumentierte 95 Fälle (2017: 68) und ergriff 137 Maßnahmen (2017: 83). Da das Flaggen in den meisten Fällen keinen Erfolg brachte, wurden sie im zweiten Schritt direkt an den Betreiber weitergeleitet. So konnte eine Erfolgsquote von 58 % (2017: 85%) verzeichnet werden. Der Dienst hatte demnach eine wesentlich schlechtere Löschquote als im Vorjahr.

Raschere Löschung und proaktives Vorgehen notwendig

Um Kinder und Jugendliche besser zu schützen, muss der Dienst sein Meldesystem verbessern und gefährdende Inhalte schnell und konsequent löschen. Mitunter dauerte es nach der Beschwerde durch jugendschutz.net mehrere Wochen, bis ein Angebot offline ging. Aufgrund fehlender Rückmeldungen ist nicht nachvollziehbar, ob die Löschung durch Telegram veranlasst wurde oder Kanäle beispielsweise durch den Betreiber entfernt wurden. Ein weiteres Problem: Wenn islamistische Kanäle entfernt werden, tauchen sie häufig wieder unter gleichem oder ähnlich lautendem Namen auf. Hier muss der Dienst auch proaktiv, z.B. mit technischen Mitteln, sicherstellen, dass Inhalte oder Akteure dauerhaft von der Plattform verschwinden.