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PraxisInfo: #NichtOhne­MeinKopftuch

Islamistische Mitmachkampagne via Twitter

Die deutsche islamistische Gruppierung "Generation Islam" rief im April zu einem sogenannten "Twitter-Storm" auf. Ihr Ziel war es, mit ihren Tweets die Twitter-Trends zu erreichen, um so ihre Botschaften möglichst weit streuen zu können. Dies schaffte der Hashtag #NichtOhneMeinKopftuch mit über 70.000 Beiträgen. Viele Userinnen und User beteiligten sich an der Debatte, darunter auch Politiker und Politikerinnen und andere Personen des öffentlichen Lebens, z. B. Akteure aus der deutschen Hip-Hop-Szene. Anlass für diese Aktion war das in Deutschland erneut in die Diskussion gebrachte Trageverbot von Kopftüchern in Schulen und Kindergärten für Mädchen unter 14 Jahren. Islamistische Gruppierungen wie "Generation Islam" und "Realität Islam" interpretierten dies als ein Angriff auf alle Muslime und ihre freie Religionsausübung. So forderten sie besonders junge Menschen dazu auf, sich auf Sozialen Netzwerken gegen ein mögliches Verbot zu positionieren.

Die Diskussion wurde von weiteren islamistischen Akteuren aufgenommen und bespielt. Diese appellierten während der Kampagne #NichtOhneMeinKopftuch stets an das Gerechtigkeitsgefühl junger Menschen und bauten mit einem simplen Freund-Feind-Schema das von ihnen regelmäßig bemühte Opfernarrativ aus. Viele Beiträge waren gut getarnt und sollten den Eindruck erwecken, dass die User und Userinnen sich "nur" gegen die Diskriminierung von muslimischen Frauen einsetzen würden. Oft steckten hinter augenscheinlich privaten Profilen jedoch Unterstützer islamistischer Gruppierungen, die ihre Propaganda vorantrieben sowie selbst eine demokratiefeindliche und gegen eine pluralistische Gesellschaft gerichtete Ideologie vertraten.

Rechtsextreme kapern Hashtag für muslimfeindliche Hass-Tweets

Es dauerte nicht lange und auch rechtsextreme Profile und Gruppen wie die "Identitäre Bewegung" stiegen in die Aktion ein, jedoch mit einem anderen Ziel: Sie wollten den Hashtag kapern und mit muslimfeindlichen Inhalten überschwemmen. Der Tenor der Beiträge war die vermeintliche Unvereinbarkeit des Islams mit freiheitlichen Grundrechten. Darüber hinaus wurde der Islam in vielen Tweets per se als bedrohlich und gewaltvoll dargestellt, um so Muslime als eine aus der Gesellschaft auszustoßende Bevölkerungsgruppe zu kennzeichnen. Dafür wurden neben Textbeiträgen auch Bilder genutzt, die Hinrichtungsszenen oder Folgen von Folter zeigen und zum Teil aus Propagandamaterial islamistischer Terrorgruppen wie dem "Islamischen Staat" stammen.

Mit Fake-Profilen, Social Bots und reichweitenstarken Aufrufen gelang es so in kurzer Zeit, eine Vielzahl an muslimfeindlichen Tweets zu streuen. Zeitweise stellten solche rechtsextremen Profile die Mehrheit der Tweets unter dem Hashtag. Damit verstärkten sie aber gleichzeitig dessen Relevanz und unterstützten so – ob gewollt oder nicht – das Ziel der islamistischen Initiatoren, den Hashtag in die Twitter-Trends zu befördern. Rechtsextreme sind so auf den Köder islamistischerGruppierungen angesprungen und bedienten deren Narrativ von der "muslimfeindlichen Mehrheitsgesellschaft", obwohl es sich tatsächlich um relativ wenige rechtsextreme Einzelprofile handelte.

Gezielte Ansprache junger Userinnen und User: Lebensweltbezug und Feindbilder

An dem Beispiel der Kampagne #NichtOhneMeinKopftuch lässt sich eindrücklich die Propagandastrategie extremistischer Akteure und ihre Risiken für Jugendliche aufzeigen, denn junge Userinnen und User sind hier besonders im Visier: Islamistische Gruppierungen und Rechtsextreme knüpfen gleichermaßen nicht nur an die Sehgewohnheiten junger Menschen an, sondern greifen auch Themen aus ihrer Lebenswelt auf. Mit kurzen Statements, eindringlichen Bildern und emotionaler Sprache werden komplexe Sachverhalte vereinfacht dargestellt und in das jeweilige extremistische Weltbild eingeordnet. Zudem rufen sie häufig explizit junge Menschen dazu auf, sich an Aktionen oder Kampagnen zu beteiligen, was die Wirkung auf die junge Zielgruppe nochmals verstärkt.

Islamisten sprechen insbesondere das Gefühl vieler junger Muslime und Musliminnen an, von der Mehrheitsgesellschaft diskriminiert, ausgeschlossen und nicht akzeptiert zu werden. Dieses Gefühl soll verstärkt oder gar geschaffen werden, um Ablehnung zu befeuern und einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Die muslimfeindliche Propaganda rechtsextremer Gruppierungen erhöht diesen Effekt noch und kann so zur verstärkten Hinwendung und Verfestigung von islamistisch geprägten Welt- und Feindbildern beitragen. Gleichzeitig befeuert sie mit ihrer Onlinepropaganda vorhandene Ressentiments und Ängste in Bezug auf Muslime. Besonders junge Menschen können durch eine solche emotionale Ansprache für das rechtsextreme Weltbild gewonnen werden, wodurch sich nicht zuletzt Fremd- und Feindbilder verstetigen.

Bezugs- und Berührungspunkte islamistischer und rechtsextremer Onlinepropaganda

Rechtsextreme nutzen Videos islamistischer Propaganda, wie z.B. Hinrichtungsvideos, um den Islam und somit Muslime insgesamt als gewalttätig, rückständig und existenziell bedrohlich darzustellen. So wird ein Bild gezeichnet, dass vor allem die Emotionen der Userinnen und User anspricht und Ängste,  Abneigung und Hass schürt. Schließlich soll eine fundamentale Ablehnung gegen muslimische Menschen erzeugt und die angebliche Notwendigkeit untermauert werden, sich gegen eine drohende "Islamisierung" zu verteidigen, notfalls mit Gewalt. Andererseits werden muslimfeindliche Propaganda und Aktionen sowie rassistisch motivierte Gewalttaten gegen Muslime von Islamisten genutzt, um eine grundlegende Feindseligkeit und die Unmöglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens zu propagieren Öffentliche Debatten wie die um ein Kopftuchverbot, um Speisepläne in öffentlichen Einrichtungen oder Moscheebauten sind bisweilen mit muslimfeindlichen Ressentiments durchzogen und werden meist sehr emotional geführt.

Islamistische Gruppierungen greifen diese Ressentiments auf, um das von ihnen verbreitete Opfernarrativ wie auch Feindbilder zu bedienen. Schließlich wird die vorgeblich einzige Lösung propagiert: die Trennung von der angeblich moralisch verkommenen "westlichen Welt" und das Leben in einer homogenen Gemeinschaft von Muslimen, gestaltet nach den vermeintlich einzig richtigen Glaubensregeln. Deutlich werden so neben den propagandistischen Bezugspunkten schließlich auch ideologische Berührungspunkte: Die Feindschaft gegenüber einer pluralistischen Gesellschaft, der Wunsch nach gemeinschaftlicher Homogenität bei gleichzeitiger Ablehnung der "modernen Welt" und ihrer Erscheinungsformen, wie der individuellen Freiheit, sind zentrale Elemente islamistischer und rechtsextremer Weltanschauungen.

Rechtsextreme und islamistische Narrative und Feindbilder durch­kreuzen

Insgesamt gilt es, extremistische Narrative zu durchkreuzen und Gegenerzählungen zu bestärken, die für eine offene und pluralistische Gesellschaft stehen. Studien wie die von Lena Frischlich et al.1 belegen, dass dies in Bezug auf isla­mis­tische Propagandavideos ein effektives Gegenmittel sein kann. Ihrem Narrativ von der "verdorbenen westlichen Gesellschaft" sowie dem Heilsversprechen einer homogenen Gemeinschaft, welche gegen den Feind zu erkämpfen sei, kann so das Fundament entzogen werden. Da rechtsextreme Welt- und Feindbilder strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen, können auch sie mithilfe von Gegennarrativen in ihrer Wirksamkeit beschränkt werden. Weiter zeigt die Studie von Frischlich et al., welche "weichen Faktoren" für erfolgreiche Gegennarrative notwendig sind: Authentizität, Anknüpfungsfähigkeit und Rationalität sind hier Schlüsselelemente. Kampagnen, die an den Lebenswelten Jugendlicher vorbeigehen, die inszeniert wirken und allein auf Emotionalität zielen, verringern die Erfolgschance.

Nicht zuletzt ist es notwendig, Gegennarrative in bestehende, erfolgreiche Konzepte der Extremismusprävention einzupassen. Da Kinder und Jugendliche selbstverständlich mit Medien aufwachsen, müssen auch nachhaltige medienpädago­gische Konzepte einbezogen werden, um sie zur kritischen Medienreflexion zu befähigen. Junge Menschen sollen so lernen, einerseits extremistische Narrative zu durchschauen und sich andererseits selbstbestimmt für die demokratische Gesellschaft, auch im Netz, stark machen zu können.