Hass via Hashtag: Identitäre rekrutieren über Twitter
Rekrutierung und Radikalisierung: Twitter als Propagandainstrument
Die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" (IB) nutzt verstärkt Twitter, um junge Menschen gezielt zu beeinflussen und als Aktive zu gewinnen. Sie führt dort Kampagnen durch, greift in öffentliche Debatten ein und streut ihr rechtsextremes Gedankengut. Neben Memes, die eine jugend- und popkulturelle Ästhetik bedienen, stellt vor allem die niedrigschwellige Möglichkeit der Teilhabe eine Gefahr für junge User dar. Sie sollen animiert werden, sich an Kampagnen auf Twitter zu beteiligen. Der Online-Aktivismus wird als Erlebnis ausgegeben und es wird eine Wirkmächtigkeit des eigenen Handelns suggeriert, die Jugendlichen attraktiv erscheint.
Die Kampagnen werden über Chats und Gruppen in Messenger-Diensten organisiert. Die Kommunikation läuft dann häufig mit "altgedienten" Mitgliedern der IB. Faktoren wie die gegenseitige Bestätigung bei der Verbreitung demokratie- und fremdenfeindlicher Ressentiments, die Anerkennung durch die Gruppe und die Möglichkeit, ein "verdientes" Mitglied zu werden oder gar bis zur "Elite" im "Infokrieg" aufzusteigen, bedienen jugendliche Bedürfnisse und können einer Radikalisierung Vorschub leisten.
Twitter gewinnt an Bedeutung für rechtsextreme Medienstrategien
Die Relevanz des Kurznachrichtendiensts Twitter ist für politische und gesellschaftliche Debatten gestiegen. Rechtsextreme binden Twitter daher immer intensiver in ihre Propagandastrategie im Social Web ein. Typisch für Twitter: kurze Texte, Videos oder Bilder. Mithilfe der geschickten Auswahl von Hashtags lassen sich die eigenen Posts einem Themenfeld zuordnen, breit streuen und dadurch die Reichweite erhöhen. Rechtsextreme nutzen dies gezielt, um ihre eigenen Inhalte prominent zu platzieren, in Debatten einzugreifen und Aufmerksamkeit zu generieren. Gleichsam soll die massenhafte Verbreitung eine hohe Relevanz rechtsextremer Positionen vortäuschen.
Hohe Reichweite: "Trendingraids", Fake-Profile und Social Bots
Die IB plant in ihren Chats auf Messenger-Diensten wie Telegram sogenannte "Trendingraids" auf Twitter, die mit virtuellen Flashmobs vergleichbar sind, und stellen dort Vorlagen für Tweets zur Verfügung. Ziel ist es, einen festgelegten Hashtag, der an bestehenden Diskursen anknüpft, durch massenhafte Nutzung zum "Trenden" zu bringen. Die verbreiteten Inhalte sollen so möglichst viele User erreichen.
Einen solchen virtuellen Flashmob startete die IB im Juli mit dem Hashtag "MaasEffect" als rechtsextreme Protestaktion gegen das von Bundesjustizminister Heiko Maas initiierte Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Zwar blieben sie weit von ihrem Ziel des "Trendens" entfernt, dennoch wurden in kurzer Zeit knapp 2.900 Tweets gepostet. Deren Analyse zeigt, dass sich an der Aktion 577 Twitter-Profile beteiligten und das Gros der Tweets (ca. 70 %) von lediglich 58 Profilen abgesetzt wurde. Dennoch erreichte diese kleine Aktion bis zu 763.500 User.
Bei diesem und folgenden "Trendingraids" zu den Hashtags "ohneMerkel" und "Barmbek" (bezieht sich auf die Messerattacke eines Islamisten im gleichnamigen Hamburger Stadtteil) nutzten sie eine Vielzahl an Fake-Profilen und Social-Bots (Programme, die in sozialen Netzen User simulieren und Inhalte posten). Weitere technische Mittel erleichtern beispielsweise den parallelen Einsatz mehrerer Fake-Profile oder das Einbinden von Bildern aus einem Online-Bildhoster. Diese dienen den Akteuren der IB als Vorratsspeicher für Memes.
Subtile Hetze: Memes mit popkulturellen Referenzen und Satire
Gerade bei Twitter werden – nicht zuletzt aufgrund der beschränkten Zeichenzahl in Posts – Bilder und szenetypische Memes als verdichtete Inhalte verbreitet. Hierbei dienen sowohl grafische Darstellungen, die wie der Comic-Frosch "Pepe" der Internetkultur entspringen, als auch populäre Filme und Serien als Grundlage. Aber auch ikonografische Bilder des Zeitgeschehens werden umgestaltet, so dass sie zur Verbreitung der eigenen Propaganda genutzt werden können.
Häufig sind auch vermeintlich humoristische oder satirische Beiträge zu beobachten. So soll der Inhalt, zugespitzt formuliert und an die Emotionen der User gerichtet, zum Liken und Teilen anreizen. Diese Strategie dient als Deckmantel, wodurch menschenverachtende und demokratiefeindliche Forderungen oder Parolen als "Scherz" erscheinen, was wiederum zu einer Normalisierung rechtsextremer Positionen führen kann.
Lust am Tabubruch: "memetic warfare" als niedrigschwelliger Einstieg für Jugendliche
Die IB stilisiert ihr Handeln insgesamt als heroischen Kampf gegen vermeintlich übermächtige politische Gegner und Gegnerinnen sowie die sogenannten "Mainstreammedien". In eigens für ihre propagandistische Medienstrategie geschriebenen "Handbüchern für Medienguerillas" bezeichnen sie ihr Vorgehen als "memetic warfare". In martialischer Sprache beschreiben sie darin, wie beispielsweise mit einer Vielzahl von Accounts oder einem redundanten "Memetischen Sperrfeuer" Traffic erzeugt und Relevanz suggeriert werden kann. Durch das massenhafte Fluten eines harmlosen Hashtags mit rechtsextremen Inhalten erscheint die propagierte Position als normale und legitime Meinung im öffentlichen Diskurs.
Mithilfe ihrer kriegerischen Wort- und Bildsprache inszenieren sich die Identitären als radikale Tabubrecher. Sie reizen den Rahmen des noch Zulässigen aus, vermeiden jedoch Rechtsverstöße. Sie bedienen damit zwar die insbesondere bei Jugendlichen vorhandene Lust am Tabubruch, bleiben aber anschlussfähig genug, um Reichweite über die eigene Szene hinaus zu generieren. So sprechen sie auch junge User an, die Angst vor rechtlichen Konsequenzen und den Folgen für ihre Zukunft haben. Anziehend wirkt nicht zuletzt, dass der Online-Aktivismus ein niedrigschwelliges Mitmach-Angebot darstellt, an dem sich junge Menschen per Smartphone leicht beteiligen können.
Die "Identitäre Bewegung"
Die "Identitäre Bewegung" transportiert in ihrer Online-Propaganda Rassismus gegen Muslime und Geflüchtete und richtet sich auch gegen Menschenrechte und Demokratie. Verfänglichere Begriffe wie Rasse und Volksgemeinschaft hat sie durch Ausdrücke wie Ethnie und Kultur ersetzt und zu einem Konzept einer „ethnokulturellen Identität“ umgedeutet. Mit ihrer modernen Bildsprache und den scheinbar harmlosen Botschaften zielt die IB auf junge Menschen, die der Szene fern und mit klassischen rechtsextremen Angeboten nicht zu erreichen sind.