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Dschihadisten werben um Mädchen und junge Frauen

Ansprache bei Facebook, Instagram, Telegram

Deutschsprachige, dschihadistische Blogs, Profile und Beiträge im Social Web richten sich gezielt auch an eine weibliche Zielgruppe. Dabei wird der militante Kampf verherrlicht, teilweise subtil, aber auch ganz offen für terroristische Gruppierungen wie Al-Qaida oder den "Islamischen Staats" (IS) geworben. Die Botschaft: Mädchen und junge Frauen sind genauso wichtig für den Dschihad wie Männer und werden von Terror-Organisationen ebenso gebraucht. Auch sie sollen sich der größeren Sache anschließen und dabei helfen, den vermeintlichen "göttlichen Willen" umzusetzen.

Die Ansprache erfolgt über Facebook, Instagram und den Messenger-Dienst Telegram. Gelockt wird mit niedrigschwelligen Angeboten, deren extremistischer Hintergrund nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist. Dort werden beispielsweise Bild-Text-Beiträge mit inspirierenden Sprüchen oder religiösen Zitaten gepostet. Durch vielfaches "Liken" und "Teilen" durchdringen sie auch die Alltagskommunikation jugendlicher Nutzerinnen und führen sie subtil an dschihadistische Propaganda heran.

Rosa, Blumen und Herzchen als Lockmittel

Dschihadistische Profile oder Kanäle für Mädchen und junge Frauen sind häufig in Rosa- und Lilatönen gehalten sowie mit Blumen und Herzen verziert. Sie setzen stärker auf Bilder und Texte als auf Videos und behandeln Alltagsthemen wie Beziehung, Sexualität oder Fragen der körperlichen Entwicklung. Sie vermitteln jungen Frauen ein positives Selbstwertgefühl, bieten Orientierungshilfe und unterstützen bei der Identitätsentwicklung. Vermittelte Wertvorstellungen sind verknüpft mit Handlungsanweisungen, die häufig mit einer Fatwa religiös legitimiert werden.

Die strikte Geschlechtertrennung, die die islamistische Ideologie verlangt, wird auch online praktiziert: Männliche User dürfen nicht über Profile mit weiblichen Usern kommunizieren oder gar Gruppen für Frauen beitreten. Den Mädchen wird zwar suggeriert, sie seien unter sich, allerdings lässt sich nicht verifizieren, ob es sich bei den Akteuren hinter den Profilen tatsächlich um weibliche User handelt.

Fatwa

Besonders auf Seiten für Mädchen sind Fatawa (Pl.) beliebt. Fragen rund um Religion, Liebe, Sexualität und den eigenen Körper werden anhand von religiösen Schriften von verschiedenen Gelehrten beantwortet. Eine Fatwa ist ein islamisches Rechtsgutachten über eine beliebige Sache, das durch einen islamischen Gelehrten erfolgt. Ratsuchende vertrauen darauf, dass die Antworten mit den Aussagen des Koran, der islamischen Überlieferung und des islamischen Gesetztes vereinbar sind.

Persönliche Ansprache und Kontaktangebote

Die vermeintlichen Betreiberinnen der Angebote sprechen Mädchen und junge Frauen als "Schwestern" an, schaffen dadurch Nähe und vermitteln das Gefühl, mit einer engen Freundin in Kontakt zu treten. Ist eine persönliche Ebene erreicht und Vertrauen aufgebaut, wird es leichter, Nutzerinnen an sich zu binden und mit dschihadistischen Botschaften zu indoktrinieren.

Junge Userinnen werden daher über die Angabe direkter Kontaktmöglichkeiten wie E-Mail-Adressen oder Telefonnummern in eine private und möglichst persönliche Kommunikation gelockt. jugendschutz.net dokumentierte beispielsweise Fälle, in denen ein 1-zu-1-Gespräch zur Frage der Ausreise ("Hijra") nach Syrien bzw. in den Irak oder zum Leben im "Islamischen Staat" versprochen wurde.

Narrativ vom guten und erfüllenden Dschihad

Das Leben im Dschihad wird auf dem Gros der Angebote als erfüllend beschrieben. Flankiert wird dieses Narrativ mit scheinbar authentischen, längeren Berichten von Frauen über ihr Leben im „Dschihad“ und dem "Kalifat". Dabei überwiegen positive Darstellungen des Alltags, beispielsweise vom gemeinsamen Essen mit Nachbarn oder dem Einkauf in Märkten mit üppigen Auslagen. Erweckt wird der Eindruck, alles sei gut und normal.

Berichte über negative Ereignisse wie Bombenangriffe kommen zwar auch vor, werden jedoch als göttliche Prüfung verklärt und im Sinne dschihadistischer Propaganda mit Heilsversprechungen verknüpft. Demnach winkt auch Mädchen und jungen Frauen, die zum bewaffneten Kampf beitragen, eine Entlohnung im Jenseits.

Emotionale Nähe durch Liebesgedichte

Die dschihadistische Online-Propaganda für Mädchen stellt den militanten Kampf als romantisches Abenteuer dar, bei dem man dem Alltag in einer westlichen Gesellschaft entfliehen und seine Liebe finden kann. Mädchen, die ausreisen und sich Al-Qaida oder dem IS in Syrien und dem Irak anschließen, wird die Hochzeit mit einem "heroischen Krieger" in Aussicht gestellt. In Szene gesetzt wie Popstars oder Filmhelden als junge, starke und rebellische Männer, die für eine größere Sache kämpfen, spricht das Bild auch die Hoffnung von Mädchen und jungen Frauen an, den Traummann zu finden.

Auch Liebesgedichte werden instrumentalisiert, um eine emotionale Nähe zu jungen Userinnen herzustellen. Beispielsweise findet sich immer wieder eines, das Abdullah Azzam (Gründer von Al-Qaida) zugeschrieben wird. Der Terrorführer bedankt sich in blumigen, rührenden Worten bei seiner Frau für ihre Unterstützung. Sie habe ihm dadurch ermöglicht, sich gänzlich dem bewaffneten Kampf zu widmen. Das romantisierende Narrativ wird flankiert von Bildern wie das eines dschihadistischen Paares: Er in Flecktarn-Uniform und mit Sturmgewehr, sie in Schwarz und vollverschleiert.

Ehefrau des Kämpfers und Mutter der Löwen

Auf den meisten Angeboten folgt die Rollenverteilung archaischen Mustern: Der Ehemann kämpft, die Ehefrau kümmert sich ihm untergeordnet als "Königin im Haus" um Kinder und Haushalt. Der dschihadistischen Ideologie zufolge sind Frauen als potenzielle Mütter jedoch unverzichtbar für den Aufbau des Kalifats, denn sie gebären Kinder und ziehen diese im dschihadistischen Sinne groß. Die "rechtschaffene Frau" findet, so die Propaganda, in dieser Aufgabe ihre Erfüllung und ist gehorsam gegenüber Gott und ihrem Mann. Sie sorgt dafür, dass Jungen zur nächsten Generation von Kämpfern – zu "Junglöwen" – heranwachsen und den Kampf gegen "Ungläubige" fortsetzen. Mädchen formt sie zu "gottesfürchtigen" Frauen, die wiederum zuständig für den Nachwuchs sind. Auf dschihadistischen Angeboten für Mädchen und junge Frauen findet diese Vorstellung ihren Widerhall zum Beispiel in Darstellungen von appetitlich zubereiteten Speisen, Babykleidung, Bastelanleitungen, Erziehungstipps und Kochrezepten.

Kombiniert wird die Rollenvorstellung mit demokratiefeindlicher Propaganda gegen die westliche, "dekadente und gottlose" Gesellschaft. Beiträge behaupten beispielsweise, die "ungläubige" Welt schätze Mütter nicht mehr, sehe Frauen nur als Sex-Objekte und eine gläubige Muslimin sei ständig der Gefahr ausgesetzt, von Männern unsittlich berührt zu werden. Dieses Bedrohungsszenario soll Ängste schüren und Mädchen enger an die vermeintlich schutzgebende Gruppe binden.

Kriegerin im Dschihad und Attentäterin

Das zweite weibliche Rollenbild ist das der Kriegerin. Dschihadisten verbreiten es zum Beispiel in Form von Bildern bewaffneter Frauen mit Niqab (Vollverschleierung) und Sturmgewehr. Sie werden als Verteidigerinnen ihrer Religion dargestellt, die zur Waffe greifen müssen, um alles "Unislamische" aktiv zu bekämpfen. Dies umfasst auch das Verüben von terroristischen Angriffen. Mit ihren Beiträgen offerieren Dschihadisten Mädchen und jungen Frauen eine Matrix für die Legitimierung von Gewalt und Terror als Akt der Selbstbestimmung. Sie werden verklärt als Ausbruch aus Konventionen und emanzipatorische Rebellion gegen die Mehrheitsgesellschaft, das westlich geprägte soziale Umfeld oder Eltern und Freunde, die "vom Glauben abgefallen" sind.

Ähnlich wie von Männern verübte Anschläge werden auch Gewalttaten von Frauen für dschihadistische Online-Propaganda instrumentalisiert: Die Messerattacke der 15-jährigen Safia S. auf einen Polizisten in Hannover 2016 wurde im Netz als Heldentat glorifiziert und das Mädchen, das damals in der salafistischen Szene verstrickt und IS-Sympathisantin war, zum Vorbild stilisiert. Beiträge deklarierten die Tat als Notwehr, riefen zur Solidarität mit den ständig von "Ungläubigen" bedrohten Musliminnen auf und legten Nachahmungstaten nahe.