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Dschihadisten rekrutieren über Messenger Telegram

Zentrales Propaganda-Tool für Dschihadisten

Der Messenger-Dienst Telegram gewinnt immer größere Relevanz für die Verbreitung islamistischer Propaganda. Seit jugendschutz.net den Dienst systematisch sichtet, ist die Zahl an deutschsprachigen Kanälen aus diesem Bereich ist stark angewachsen. Zwei Drittel können dem dschihadistischen Spektrum zugeordnet werden.

Auffällig: Kanäle mit den drastischsten Inhalten wie Hinrichtungsvideos der Terrororganisation "Islamischer Staat", Aufrufen zum bewaffneten Kampf und Werbung für Terrorgruppen enthalten die meisten Beiträge, teilweise täglich mehr als 200.

Alltagsbezüge und Jugendkultur als Köder

Häufig werden die Telegram-Kanäle auf jugendaffinen islamistischen Facebook-Profilen beworben, die über Alltagsbezüge locken. Bei ihnen ist der extremistische Hintergrund nicht auf den ersten Blick zu erkennen, so dass User hierüber auch unbeabsichtigt auf dschihadistische Angebote stoßen können.

Beim Telegram-Kanal des inzwischen inhaftierten, selbsternannten deutschsprachigen Predigers Abu Walaa war beispielsweise ohne Hintergrundwissen nicht zu erkennen, dass es sich bei ihm um einen IS-Sympathisanten handelt.

Größere Bekanntheit erlangte er durch einen öffentlichen Streit mit dem Salafisten Pierre Vogel, den er über sogenannte "Ansage"-Videos austrug. Diese authentisch und nahbar wirkenden Filme sind vor allem bei Jugendlichen aus der Hip-Hop-Szene bekannt und beliebt.

Sie werden von Gangster-Rappern als Stilmittel genutzt, um szeneinterne Konflikte publikumswirksam zu inszenieren

Die Videos werden mit kurzen Trailern über verschiedene Kanäle breit angekündigt, beworben und geteilt, um die Spannung zu steigern. Beobachtern wird der Eindruck vermittelt, Informationen aus erster Hand zu haben. Mit dieser Methode gelang es Abu Walaa zeitweise über 3.000 Mitglieder für seinen Telegram-Kanal zu gewinnen.

Über Verlinkungen zum militanten Spektrum

Wer einem islamistischen Kanal auf Telegram beitritt, der harmlos scheint, wird über Beiträge von Dritten stufenweise an die menschenverachtende Ideologie und immer extremistischeres Gedankengut herangeführt. Über zugehörige Verlinkungen geraten Jugendliche schnell auf Angebote aus dem militant-dschihadistischen Spektrum. 

So binden beispielsweise Kanäle mit Anleitungen zu "islamisch"-konformen Fitness-Übungen oder zu Rezepten für afghanische Speisen radikalere Beiträge von Dritten ein, in denen für die Einführung der Scharia geworben und gegen westliche Gesellschaften gehetztn wird. Die zugehörigen Kanäle wiederum enthalten Beiträge von Kanälen, die zum bewaffneten Kampf aufrufen und für Terror-Organisationen wie Al Qaida oder den "Islamischen Staat" werben.

Jugendaffiner Zugang über Popkultur

Kanäle der deutschen dschihadistischen Szene veröffentlichen auf Telegram Bilder, die an die Populärkultur anknüpfen. Dadurch wird islamistisches Gedankengut einfach und schnell transportiert. Auf einem besonders jugendaffinen Kanal fanden sich beispielsweise Logos von beliebten Filmen wie "Star Wars" oder "Zurück in die Zukunft", die mit dschihadistischen Parolen versehen waren. Dabei wurde unverhohlen zu Gewalt und Terror aufgerufen. 

Auch Emojis, die den Spaß an der Kommunikation erhöhen und daher besonders beliebt sind, werden von Islamisten gezielt eingesetzt, um dschihadistische Bilder zu verbreiten und darüber Sympathie mit terroristischen Gruppen wie dem "IS" oder Al Qaida auszudrücken. Genutzt wird dazu eine Besonderheit von Telegram, die ermöglicht, selbst Sticker-Sets zu erstellen. Der User sucht sich dabei ein eigenes Motiv aus und nutzt die Telegram-Funktion, um hieraus einen Emoji zu erstellen. Sticker zeigen zum Beispiel den amerikanischen Journalisten James Foley in einem orangefarbenen Anzug und seinen Mörder mit schwarzer Sturmmaske und Messer. Auch die Flagge des "Islamischen Staats" wird verwendet. User, die auf solche Symbole klicken, erhalten ebenfalls Zugriff und damit die Möglichkeit, sie zu verbreiten.

Auf diesem Weg gelangen sie auch schnell in Umlauf unddurchdringen gemäßigte Kommunikationsstränge. Für Jugendliche besteht hier ein niedrigschwelliger Zugang zu dschihadistischer Ikonographie und hierüber vermittelte, menschenverachtende Ideologie.

Kämpfe und Terror als Live-Events

Für Jugendliche sind dschihadistische Kanäle auf Telegram auch deshalb reizvoll, weil dort vermeintlich authentische Informationen – besonders über den Konflikt in Syrien und dem Irak - ohne Umwege über klassische Medien zu erhalten sind. Vor allem der IS nutzt den Dienst, um Kampfhandlungen als Live-Events zu präsentieren: User können sie über Handy, Tablet oder PC miterleben. Immer neue Bilder und Videos von der Front vermitteln Abonnenten das Gefühl, sehr nah am Geschehen zu sein. Damit wird die Zielgruppe abgeholt und das Bild des ruhmreichen "Islamischem Staats" per Smartphones in die Köpfe der User transportiert. 

Ereignisse wie die Anschläge von Nizza und Ansbach oder der Putschversuch in der Türkei haben einen sehr hohen Output an Nachrichten auf dschihadistischen Telegram-Kanälen zur Folge. Diese fungieren quasi als parallele Berichterstattung und veröffentlichen Materialien, die deutsche Medien nicht zeigen würden. Kurz nach dem Anschlag in Nizza publizierten dschihadistische Kanäle ein Handy-Video, das Opfer des Attentats tot oder unter Schmerzen zeigte. Die Propaganda glorifizierte die Tat und verhöhnte die Menschen als Ungläubige, die es nicht anders verdienthätten. Gleichzeitig riefen sie zur Nachahmung auf.

Generell haben dschihadistische Kanäle auf Telegram eine höhere Beitragszahl als Angebote aus dem gemäßigten Spektrum und versorgen User konstant über den Tag hinwegmit Informationen. Mittels Push-Funktion landet die Propaganda dann unmittelbar auf dem Smartphone und ist selbst im gesperrten Bildschirm direkt lesbar. Dadurch soll das Interesse der Jugendlichen aufrechterhalten und die Bindung an die extremistische Ideologie gefestigt werden.

"IS" spricht gezielt Frauen und Männer an

Mehrere deutschsprachige Kanäle richten sich an Frauen und Mädchen. Sie werben mit romantischen Erzählungen von der Liebe in der Ferne und idyllischen Bildern dafür, in das neue "Kalifat" auszuwandern und einen Dschihadisten zu heiraten. Frauen seien "Königinnen" im Haus und ihre Aufgabe sei es, Kinder zu "wahren Kämpfern" zu erziehen. Die Betreiber der Kanäle boten als direkte Kontaktmöglichkeiten auch E-Mail-Adressen und private Chats an. Gelockt wurde mit dem Versprechen konkreter Informationen über eine Ausreise nach Syrien und den Irak. Eine solche Eins-zu-eins Kommunikation, die sich vollständig der sozialen Kontrolle entzieht, stellt ein unmittelbares Einfallstor für gezielte Indoktrination und Rekrutierung dar.

Propaganda-Kanäle, die sich an Männer und Jungen richten, sind martialischer: Bilder und Videos, die Exekutionen von Gefangenen oder tote feindliche Soldaten zeigen, verklärenden Kampf der Dschihadisten. Parallel werden die Selbstmordattentäter glorifiziert, um neue "Märtyrer" zu gewinnen. Darstellungen, wie mutmaßlichen Dieben die Hände abgeschlagen oder "Ehebrecher“, Homosexuelle und "Zauberer" hingerichtet werden, sollen die strikte Anwendung der Scharia demonstrieren.

Terroristen suggerieren intakten Staat

Auf Kanälen des "Islamischen Staats" wird das "neue Kalifat" als funktionierender Staat präsentiert. Beiträge sollen beweisen, dass sich die Dschihadisten um die Instandhaltung der Infrastruktur wie Straßen und Stromleitungen kümmern und damit ein soziales und zivilisiertes Leben ermöglichen.

Bilder zeigen ein angeblich intaktes Gesundheits-, Bildungs- und Justizwesen. Hochglanzfotos mit gut gefüllten Regalen und volle Marktstände zeugen vermeintlich von umfangreichen Einkaufsmöglichkeiten; schöne Blumen und üppige Früchte suggerieren, das Land sei fruchtbar und somit der ideale Platz, um ein neues Leben zu beginnen.

Mit dieser Darstellung richtet sich der "IS" auch an potenzielle Rekruten aus westlichen Konsumgesellschaften. Die Vorstellung, das "Kalifat" sei von Gott gesegnet, schafft dschihadistischer Propaganda und damit letztlich auch dem Töten von "Ungläubigen" vermeintlich Legitimität.